2046

2046

2004. Regie: Wong Kar Wai, Kamera: Christopher Doyle, Darsteller: Tony Leung Chiu Wai, Li Gong, Ziyi Zhang, Faye Wong.

Die Sehnsucht heißt Herr Chow. Oder Su Li Zhen. Aber das war ein anderer Film. Oder doch nicht? „2046“ ist die Fortsetzung von Wong Kar Wais „In the mood for love“ (2000). Zugleich aber auch nicht.

Die filmischen Mittel, die „In the mood for love“ so einzigartig gemacht haben, finden sich auch hier wieder. Die warmen Braun-, Grün- und Gelbtöne, die Geschlossenheit des Raumes, hervorgerufen durch Nahaufnahmen; Objekte, die das Sichtfeld beschränken, fehlende Köpfe und Gesichter. Und natürlich die Zeitlupen, zumeist von gehenden Menschen. Auch im Soundtrack findet sich Vertrautes wieder: melancholische Streicherarrangements, sanfte Latinorhythmen und erneut ein Main Theme von Shigeru Umebayashi mit hohem Wiedererkennungswert. Viele Bildmotive kehren zurück: eine Lampe im Regen, ein auf die Schulter gelehnter Kopf im Taxi, flüchtige Blicke im Vorbeigehen, extravagante Kostüme.

Beide erzählen von unerfüllter Liebe, machen die Auslassung zum wesentlichen Element der Erzählung und rücken Kamera und Musik als gleichberechtigte narrative Akteure neben Dialog und Schauspiel. Beide Filme deuten das zentrale Motiv der Erzählung nur an, die Liebe zwischen Chow Mo Wan und Su Li Zhen. Damit wird der Weg frei für eine viel umfassendere Deutung als Filme über die Liebe schlechthin, Begegnungen und falsche Zeitpunkte.

Beide erzählen die gleiche Geschichte, aber gänzlich anders. 2046 verknüpft zwei nichtlinear dargestellte Handlungsebenen: das Hongkong der späten 60er Jahre und 2046. Diese Zahl ist der Schlüssel zum Film.

2046 ist die Nummer des Hotelzimmers aus „In the mood for love“. Jetzt zieht Herr Chow (Tony Leung Chiu Wai) in ein anderes Hotel in Zimmer 2047 – 2046 wird gerade renoviert und beherbergt nacheinander die drei Frauen, die die abwesenden Su Li Zhens (!) in Herrn Chows Leben umkreisen.

Die Klammer um die Hongkong-Ebene bildet eine neue Su Li Zhen (Li Gong), eine professionelle Spielerin in schwarz, die über ihre Vergangenheit nicht sprechen kann und nur scheinbar ein Ersatz für die alte Su Li Zhen (Maggy Cheung) sein könnte. Dazwischen, miteinander verwoben, drei Geschichten über geglückt-gescheiterte Begegnungen und Herrn Chows wechselne Gesichter der Sehnsucht. Aus dem Verzweifelten wird ein bittersüß skrupelloser Frauenheld, der nicht davor zurückschreckt, mindestens eine Frau (Ziyi Zhang) zu verletzen, tief tief zu verletzen. Jeder Versuch, die Vergangenheit abzustreifen, misslingt und auch der möglichen neuen Liebe zur Tochter des Wirtes (Faye Wong) ist kein Glück beschieden, weil es einmal mehr der falsche Zeitpunkt ist. So sitzt Herr Chow letztendlich allein im Taxi.

Ästhetisch von diesem Erzählstrang völlig entkoppelt ist 2046, die Traumwelt eines Romans, den Herr Chow schreibt. 2046 ist eine Jahreszahl, ein Setting, das futuristische Bilder eines Zuges ermöglicht, in dem das alter ego Herrn Chows von 2046 zurückreist. 2046 ist ein Ort, der sich niemals verändert. Ein Ort, an den Menschen reisen, um ihre Erinnerungen wiederzufinden. Noch niemand ist von dort zurückgekehrt, nur der Protagonist versucht es und verliebt sich auf der quälend langen Reise in einen Androiden (ebenfalls Faye Wong) mit verlangsamten Reaktionen. Behauptet der Erzähler aus dem Off anfangs noch, er habe es als einziger geschafft zurückzukehren, so sehen wir ihn doch nie ankommen.

Beide Ebenen verbinden sich spätestens beim zweiten Sehen des Films zu einer atemberaubenden Erzählung der gleichen Geschichte auf zwei gänzlich unterschiedliche Weisen. So verwundert es dann nicht, dass es Wong Kar Wai mühelos gelingt, eine dritte Ebene einzuflechten. Zwei sekundenkurze Einspielungen dokumentarischen Materials aus dem Hongkong der 60er verankern das Geschehen politisch und 2046 markiert den Endpunkt – das Jahr, an dem der Sonderstatus Hongkongs in China endgültig endet.

Der Film ist ein ästhetisches Fest, formal schon fast übercodiert, der die Kunst, etwas Unbeschreibbares durch Auslassung und Umkreisung doch deutlich sichtbar zu machen, perfektioniert. Es geht um Sehnsucht und die Sehnsucht heißt Herr Chow und Wong Kar Wai und sein Kameramann Christopher Doyle machen sie greifbar.